Wie Frau Merkel ihr Unwohlsein überwand...

Veröffentlicht am 28.06.2017 in Bundespolitik

Es war ein warmer Sommerabend, ich hatte gerade die Einführungsveranstaltung für mein Freiwilliges Kulturelles Jahr hinter mich gebracht. Ich hatte vor Ort schon ein sehr nettes Mädchen kennengelernt und wir waren gerade auf dem Weg zum Feiern, als sich uns ein platinblonder Junge anschloss. Die erste Frage, die von dem MÄDCHEN kam: "Bist du schwul?" Ich war ehrlich gesagt verblüfft! So etwas fragt man doch nicht und erst recht nicht, wenn man sich gerade erst jemandem vorstellt. Entgegen meiner Erwartung verlief das weitere Gespräch locker und unglaublich witzig! Daraus entwickelte sich dann eine großartige Freundschaft!

 

Ich bin in Brandenburg aufgewachsen, mit dem Wissen, dass alle Menschen gleich sind. Egal welche Hautfarbe, Religion oder Sexualität sie haben. Ich erinnere mich an Abende, an denen meine Mama begeistert vor dem Fernseher saß und Mary-Lieder (Georg Preuße, Travestiekünstler) mitgeschmettert hat. Für mich hat sich also nie auch nur im Geringsten der Gedanke ergeben, dass Homosexualität etwas Unnormales geschweige denn etwas Falsches wäre.

Während meiner Schulzeit gab es bei uns niemanden, der offen schwul oder lesbisch war. Es war für mich an diesem besagten Sommerabend also trotzdem eine neue Erfahrung. Und sofort werden deine Freunde und du mit Vorurteilen überhäuft. Mir wurde vorgehalten, ich wäre nur mit IHM befreundet, weil ich unbedingt einen schwulen besten Freund wollte, ER wäre zu extrovertiert und SIE, SIE sähe gar nicht aus wie eine Lesbe. Es waren meist nur Kleinigkeiten, die mich aber doch schockiert hatten. Wie kann man das als Aufhänger für auch nur eine einzige Diskussion nehmen? Wir drei sind normale Menschen und nichts macht den einen oder anderen schlechter oder besser! Ich bin froh über diese Erfahrungen, die ich sammeln durfte und froh über die gemeinsame Zeit, die wir miteinander verbracht haben und würde sie auch nicht missen wollen.

Seit einiger Zeit hört man wieder überall: Ehe für alle! Ich, als SPD-Mitglied und Juso, sehe das Ganze sehr kritisch. Persönlich verstehe ich nämlich überhaupt nicht, wie es sein kann, dass wir auf diesem Gebiet so hinterher hängen. Wie kann es sein, dass zwei homosexuelle MENSCHEN, die sich lieben, nicht heiraten dürfen? Nicht die gleichen Rechte haben dürfen wie Menschen die heterosexuell sind?

In Diskussionen rund um dieses Thema werde ich leidenschaftlich, innerhalb und außerhalb meines Freundeskreises. Bei mir ist das eine reine Kopfsache, etwas, was ich einfach nicht verstehen kann und insbesondere nicht akzeptieren will. Die Diskussionen beginnen bei "Ich möchte nicht sehen, wie sich zwei Männer küssen!" und enden meist bei "Ein Kind braucht Vater und Mutter!". Beide Argumente sind für mich ehrlich gesagt absolut inakzeptabel. Wenn du nicht sehen willst, dass zwei Männer sich küssen, dann schau weg. Aber spreche ihnen nicht das Recht ab, sich in der Öffentlichkeit so zu benehmen wie jeder andere. Und dass ein Kind beide Elternteile braucht, da hat man mich. Da bin ich dabei. Aber wer sagt denn, dass dies unbedingt ein Mann und eine Frau sein müssen? Wer sagt denn, dass zwei Männer oder zwei Frauen den Job nicht genauso gut oder gar besser machen? Es gibt viele Alleinerziehende, denen erzählen wir ja auch nicht: "Du brauchst jetzt aber einen Partner an deiner Seite, das Kind kann doch nicht ohne Vater/Mutter aufwachsen.". Ich denke, ein Kind braucht Menschen, von denen es geliebt wird, gut behandelt und gut versorgt. Das sind wichtige Eigenschaften von Eltern und diese sind nicht abhängig vom Geschlecht.

Einer meiner Freunde meinte mal zu mir, er würde gerne später ein Kind adoptieren. Seinen Grund dafür fand ich damals unglaublich großartig und menschlich. Er meinte, dass es genügend Kinder gibt, die ohne Eltern aufwachsen müssen. Warum also nicht ein Kind adoptieren und ihm ein behütetes Zuhause und eine Familie bieten? Da er schwul ist, ist das aber gar nicht so einfach. Denn gleichgeschlechtliche Paare dürfen in Deutschland nicht gemeinschaftlich adoptieren. Aktuell gibt es nur die Möglichkeit, dass ein Partner ein Kind adoptiert und der andere dann durch die Sukzessivadoption, das Kind des Partners adoptiert. Dies stellt ein gleichgeschlechtliches Paar natürlich vor Schwierigkeiten, die andere Paare nicht haben.  

Im Jahr 2013 habe ich bei Facebook ein Video geteilt. Zu sehen war Angela Merkel in der ARD-Wahlarena. Sie wurden von einem Mann nach ihrer Meinung zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare befragt. Ihre Antwort hat mich damals schockiert und verärgert mich bis heute. Sie antwortete darauf, dass man ja an das Kindeswohl denken müsse und sie schließlich nicht „die allereinzigste in Deutschland“ wäre, „die sich damit etwas schwer tut“.

Im Rahmen eines YouTube-Interviews mit LeFloid unter dem #NetzFragtMerkel im Jahr 2015, kam das Thema natürlich auch zur Sprache. Auch hier äußerte sich Merkel kritisch. Sie sei gegen Diskriminierung, aber für sie persönlich „ist Ehe das Zusammenleben von Mann und Frau“. Des Weiteren meinte sie, dass man eben auch akzeptieren sollte, dass es dazu verschiedene Meinungen gibt und „das muss man eine Weile dann einfach auch aushalten.“ Aber sie möchte natürlich niemanden diskriminieren.

Frau Merkel hat sich am vergangen Montag, im Interview mit der "Brigitte", dann endlich mal anders zu diesem Thema geäußert. Wenn sie vorher ein ungutes Bauchgefühl hatte, steht sie dem Ganzen jetzt offener gegenüber und erklärt die Entscheidung im Bundestag zu einer Gewissensentscheidung. Oh wie gerne hätte ich jetzt in den CDU/CSU-Abgeordnetenbüros Mäuschen gespielt.

Natürlich stellt sich die Frage, woher der Stimmungswandel der Kanzlerin auf einmal kommt? Und das so kurz vor dem Ende der Legislaturperiode? Das liegt doch nicht etwa am Wahlkampf? Oh doch, denn FDP, Grüne und SPD haben sich dafür ausgesprochen und schon jetzt klar gemacht, dass es ohne die Ehe für alle keinen Koalitionsvertrag mit der CDU geben wird. Frau Merkel wollte sich also vermutlich nur die Türen offen halten oder mal wieder ein unleidiges Thema aus dem Wahlkampf ziehen. Die Welle, die das aber losgetreten hat, begeistert mich. Endlich wird das Thema angegangen, wenn auch aus meiner Sicht viel zu spät. Mit der Mehrheit aus Grünen, Linken und der SPD könnte am Freitag das Gesetz beschlossen werden. Natürlich wird sich der Großteil der CDU/CSU nicht überwinden können, mit ja zu stimmen, aber hierfür hat Frau Merkel ja auch Verständnis eingefordert - ein Verständnis, welches den Befürwortern der „Ehe für alle“ jahrelang nicht entgegengebracht wurde. Der Einsatz der SPD auf diesem Gebiet wird von einigen Unionsabgeordneten als Koalitionsbruch gesehen, aber jetzt dagegen vorzugehen, so kurz vor dem Wahlkampf, das macht selbst die Union nicht.

 

Ich hoffe, dass sich ab Freitag einfach viele Paare dazu entschieden können, endlich zu heiraten, mit allen Rechten und Pflichten, die dazu gehören! Und hier mal ein ernstgemeintes „Danke Merkel!“ für Ihren Versprecher oder eben Ihre Angst vor diesem Thema im Wahlkampf!

 

Annemarie Wolff

Anmerkung: Dieser Artikel gibt lediglich die Einzelmeinung des Autors wieder, die nicht der Meinung der SPD oder deren Gliederungen entsprechen muss.

 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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